Am 04. Dezember hatten wir in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten des Landes und den Präsidenten des Landtages beklagt, dass die vorgesehenen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung kommunalpolitischer Arbeiten in Zeiten eines dynamischen Pandemiegeschehens nicht ausreichend sind. Diesen Brief hatten wir an die beiden unmittelbar adressierten Personen, aber auch an alle Fraktionen des Landtages, mit Ausnahme der AFD, und die beiden Abgeordneten unseres Wahlkreises Herr Jens-Peter Nettekoven (CDU) und Herr Sven Wolf (SPD) gerichtet. Darüber hinaus wurden auf breiter Front auch die Medien des Landes über unsere Initiative unterrichtet, weil dieses Problem kein lokales, sondern ein landesweites Problem darstellt. Das Echo auf diese Initiative war doch recht bescheiden. Der Präsident des Landtages hat den Eingang bestätigt und mitgeteilt unter welchem Aktenzeichen diese Resolution behandelt werden wird. Herr Wolf war der Einzige, der persönlich geantwortet hat. Leider hat er inhaltlich sich auf die Position des Landes, dass man ja die Aufgaben vom Rat in den Hauptausschuss verschieben könnte, verteidigt. Abgesehen von der Lokalpresse ist das Thema auch in den Medien nie ernsthaft behandelt worden.
Was bedeutet das? Wir können daraus nur den Schluss ziehen, dass sich niemand ernsthaft für Kommunalpolitik und die handelnden Personen interessiert! Während Unternehmen – nach unserer Auffassung zu Recht – mit einer Auflage zum Home-Office belegt wird, werden digitale Ersatzlösungen für die politische Arbeit in den Kommunen nicht ernsthaft geprüft! Das können wir nur als eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Landes werten! Digitale Ersatzlösungen werden seit Wochen mit wenig stichhaltigen Gründen infrage gestellt: Mal wird argumentiert es fehle an der Öffentlichkeit, neuerdings glaubt man, dass Mitschnitte einer Online-Sitzung nicht verhindert werden könnten, das Gelingt aber auch nicht in einer Präsenzsitzung! Bedenkenswerte, ernsthafte Gegenargumente haben wir bislang nicht gehört. Wir gehen inzwischen auch nicht mehr davon aus, dass sich an dieser Grundhaltung und damit an dem damit verbundenen Problem etwas ändern wird.
In dieser Pandemie ist ja schon oft formuliert worden, dass Corona wie ein Brennglas wirkt, das die Fehler und Schwächen vergrößert in Erscheinung treten lässt. Das ist auch hier so. Wir haben es hier mit zwei Grundmustern der Politik zu tun.
- Politik ist i.d.R. unfähig zur Selbstkritik und Selbstkorrektur. Viele Politiker scheinen zu glauben, dass Politik nur dann glaubhaft wirke, wenn sie sich mit der Aura der Unfehlbarkeit umgibt. Natürlich hatte der Landtag im Frühjahr geglaubt, dass eine Verminderung der sich treffenden Personen eine Hilfe im Rahmen der Pandemieabwehr sein könnte. In einem Hauptausschuss treffen sich z.B. in Radevormwald, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, minimal 20 Menschen. Das ist weit mehr als ansonsten zulässig ist. Das im Produktionsbereich eines Unternehmens ein solches Treffen wahrscheinlich alternativlos ist, ist richtig, kann aber nicht eine Entschuldigung sein, die digitale Arbeit von Gremien in der Pandemie nicht zu erlauben. Im Frühjahr und Sommer 2020 sind viele Entscheidungen getroffen worden, die sich heute als Fehlbeurteilungen herausstellen. Das wäre auch weiter nicht tragisch, wenn Politik die Fähigkeit zur Korrektur besitzen würde. Aber daran fehlt es massiv! Ganz gruselig wird es, wenn man die Aussagen der Kultus- und Schulminister betrachtet. Wer immer auch den Vorsitz in der Kultusministerkonferenz (KMK) besitzt, auf Nachfragen kommt immer gebetsmühlenartig die Aussage, Fehler habe man nicht gemacht. Dabei sind diese offensichtlich. Im Frühjahr und Sommer hatten die Mitglieder sich darauf verständigt, keinesfalls die Schulen wieder schließen zu wollen. Es spricht auch nichts dagegen, dem Präsenzunterricht den Vorrang einzuräumen, aber es wäre die dringende Aufgabe gewesen, sich mit dem Fall zu beschäftigen, wie das System Schule möglichst leistungsfähig in einer dynamischen pandemischen Situation erhalten werden kann. Denn das Drehbuch schreibt nicht die KMK, sondern das Virus! Der Sommer wurde verschlafen, so dass es zu solchen Fehlentwicklungen kommt, wie man z. B. in Bayern beobachten konnte. Der bayerische Kultusminister bittet seine LehrerInnen darum, die bayerische Lernplattform „Mebis“ in dieser Situation nicht zu nutzen. Kabarettisten hätten sich einen besseren „Gag“ nicht ausdenken können. Und das ist nur ein Beispiel. Natürlich werden in dieser herausfordernden Situation Fehler gemacht. Die Frage ist nur, wie gehen die, die falsch entschieden oder fehlerhafte Positionen öffentlich verkündet haben damit um. Wir würden uns etwas mehr Mut zur Korrektur und Demut wünschen. Und, damit wir nicht falsch verstanden werden, das gilt nicht nur für die Menschen, die in Ämtern Verantwortung tragen! Das gilt noch viel mehr, für die Kritiker, Skeptiker, Querdenker usw.. Gerade von diesen Menschen fehlt weiterhin jegliche Einsicht in die eigene Fehlorientierung und die Verantwortung, die sie für den Umgang der Bevölkerung mit der Gefahr tragen. Das beginnt mit der AFD und endet noch nicht mit Prof. Dr. Sucharit Bhakdi.
- Dem Impfprozess vor Augen, treffen wir auf ein zweites Phänomen politischen (Fehl-)Verhaltens: das Aussitzen. Unwillig oder unfähig zur eigenen Selbstkorrektur hofft Politik häufig darauf, dass „mit der Zeit Grass über die Sache wächst“ und deshalb eine Korrektur der eigenen Position vermieden werden kann. Wir haben den Eindruck, dass die nordrheinwestfälische Politik gerade diese Position einnimmt.
Das ist in jeder Hinsicht enttäuschend und persönlich verletzend, wenn gerade die Menschen, die in ein Amt (auch das des Abgeordneten) gewählt wurden, ihre Aufgaben nicht sachgemäß wahrnehmen. Und auch dabei sind Kommunalpolitiker nicht die einzige vergessene Gruppe. Hinzu zählen dürfen sich u. a. auch ErzieherInnen, Pflegekräfte, Soloselbständige, Studentinnen/Studenten usw..
Deshalb kommen wir für die nordrheinwestfälische Politik zu dem traurigen Schluss:
Gewogen und für zu leicht befunden!
Übrigens: Die digitale Ratsarbeit, die in Nordrhein-Westfalen nicht möglich, fast schon unvorstellbar ist, wird in Rheinland-Pfalz praktiziert! Es lebe der Föderalismus!
Update 03. Feb. 2021
Wie zum Beweis der obigen Thesen, kam es im Rahmen der Organisation der Impfterminvergabe zu den gleichen Erscheinungen. Obwohl die Verantwortung tragende Politik Wochen und Monate Zeit für die Vorbereitungen hatten, sind diese scheinbar ohne große logistisch-organisatorische Vorarbeit ins Land gegangen. Das Impfmanagement wurde der Kassenärztlichen Vereinigung übertragen (KV), obgleich sie schon datentechnisch nicht hinreichend gerüstet war/ist. Dann setzte man auf ein unstrukturiertes Melde- statt ein Einlade-System für Millionen von Bürgerinnen und Bürgern und wunderte sich, dass unter dem Ansturm sowohl die Telefonleitungen als auch die Internetserver zusammenbrachen. Während Senioren über den Zusammenbruch der Leitungen in Verzweiflung gerieten, stellten sich der Ministerpräsident und sein Gesundheits-/Sozialminister vor den Landtag und sprachen von einer gelungenen Organisation der Impfaktion! Politik macht halt keine Fehler und seien sie noch so offensichtlich! Dem CDU-Abgeordneten unseres Landtag-Wahlkreises Jens Nettekoven viel dazu auch nichts Besseres ein, als diese Mär wortgetreu nachzuerzählen. Wie glaubwürdig wird Politik, wenn sich der „frei gewählte“, nur „seinem Gewissen verpflichtete Abgeordnete“ am Ende nur als braver Parteisoldat erweist?? Schade, leider nur ein Leichtgewicht!
Dennoch, ein wenig Hoffnung besteht noch: Der Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch, gleichfalls CDU-Mitglied, nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte mit scharfen Worten, nicht die Fehler, sondern die selbstgefällige Haltung der politisch Handelnden.
Und jetzt wurde dann auch noch bekannt, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern heute mit einem Pilotprojekt beginnt, bei dem der Biontec-Impfstoff auch von Hausärzten verabreicht wird. Unsere nordrhein-westfälischen Politiker sind zu so viel Kreativität nicht fähig!
Es lebe der Föderalismus!
Zum ersten Mal seit ich die Seiten der Fraktionen in der Rader Kommunalpolitik erkunde, spricht mit ein Artikel so aus der Seele. Demut und Fehlerkultur , also echtes Bestreben aus Fehlern zu lernen, agil und nach vorne gerichtetes Handeln, so stelle ich mir moderne Kommunalpolitik vor. Danke